Die hügelige, von zahlreichen Flüsschen und Bächen durchzogene Landschaft des Grabfeldgaus im äußeren Nordwesten Bayerns stellte mit ihren fruchtbaren Böden seit den Anfängen von Ackerbau und Viehhaltung in der Zeit der Linearbandkeramik eine besonders begünstigte Siedlungskammer dar. Die archäologische Arbeitsgruppe Rhön-Grabfeld (AARG) leistete in den vergangenen 40 Jahren durch ungezählte Feldbegehungen, aber auch durch zahlreiche Notbergungen Pionierarbeit bei der Erfassung der Bodendenkmäler. Ein Blick in den „bayernviewer Denkmal“ zeigt eine Vielzahl zumeist durch Oberflächenfunde ausgewiesener Fundstellen vorgeschichtlicher Siedlungs- und Bestattungsplätze durch sämtliche Epochen hindurch. Über die reine Denkmalerfassung konnten für die Denkmalgattung „vorgeschichtliche Bestattungsplätze“ aufgrund einer Reihe von Grabungen bereits genauere Ergebnisse vorgelegt werden. Deutlich weniger fortgeschritten ist für den Grabfeldgau die Erforschung der Siedlungen selbst. Trotz der hohen Zahl bekannter Siedlungsplätze konnte der Kenntnisstand kaum durch flächige Grabungen vertieft werden. Zudem divergiert das an den Siedlungsplätzen gesammelte Material häufig stark, so dass eine eindeutige zeitliche Zuweisung nicht immer gelingt.
Eine dieser diffusen Fundstellen findet sich etwa 600 m nordwestlich des Ortsrandes der Stadt Mellrichstadt am Nordwestrand des Grabfeldgaus. Seit geraumer Zeit wurden hier bei Feldbegehungen Scherben der vorgeschichtlichen Metallzeiten gefunden. Das Material streute von der Bronzezeit bis in die Latenézeit, ohne dass eine räumliche Struktur ablesbar gewesen wäre. Der sanfte Geländeabfall nach Südwesten zum Flüsschen Streu hin begünstigte durch Hangerosion die Vermischung der Oberflächenfunde.
Die Ausweisung des Geländes als Industriegebiet durch die Stadt Mellrichstadt bedeutete nun für dieses Bodendenkmal einerseits das Ende, andererseits aber auch die Gelegenheit zu einer archäologischen Untersuchung. Erste Gelegenheit zur Beobachtung von zugehörigen Befunden hatte sich bereits in den neu geschaffenen Straßentrassen ergeben. Hier wurden einige Gruben angeschnitten. Mitglieder der AARG konnten einiges Fundmaterial bergen. Die Befunde wurden im Stil einer Notaufnahme dokumentiert. Nachdem auf dem Gelände konkrete Bebauungspläne vorlagen, kam es nun zur ersten flächigen Untersuchung. Die Grabung selbst wurde zweigeteilt. Die der Grabung vorangehenden Sondagen und der östliche Bereich wurden durch das BLfD durchgeführt. Die Bamberger Grabungsfirma Archäologische Dokumentation bearbeitete den zweiten Grabungsabschnitt. Die AARG leistete bei beiden Teilmaßnahmen tatkräftige Hilfe.
Die untersuchte Fläche betrug insgesamt etwa 8000 m². Der Gesamtplan zeigt Zonen mit unterschiedlicher Befunddichte. Der östlich Hang aufwärts gelegene Bereich weist große Lücken auf, während die Befundkonzentrationen im Westen der Grabungsfläche erste Rückschlüsse zulassen. Hier sind zwei durch einen relativ befundfreien Zwischenraum getrennte Bereiche feststellbar. Im nördlichen Teil fanden sich in der Mehrzahl Keramikscherben aus der Urnenfelderzeit. Der südliche Bereich weist mehr Fundgut und Befunde der Hallstattzeit auf.
Die Befundkonzentrationen spiegeln mit Sicherheit nicht die ursprüngliche Siedlungsverteilung wider, sondern sind durch die Geologie des Untergrunds und durch die Erosion begründet. Im Nordosten der untersuchten Fläche lag der anstehende Fels knapp unter der heutigen Humusdecke. Im Süden und Westen bedeckte eine Lehmschicht den Fels. Die alten Oberflächen waren nicht mehr vorhanden. Einige in den Fels eingetiefte Pfostengruben belegen, dass auch zur Zeit der Besiedlung das den Fels bedeckende Lehmpaket nicht stark gewesen sein kann.
Der Einfluss der Erosion auf die Befundverteilung wird am Beispiel einer isoliert stehenden Grube deutlich. Der Befund hatte noch eine Tiefe von 1,45 m. Der Durchmesser am Fuß betrug 2 m, der Durchmesser im Planum etwa 1,10 m. In der Verfüllung am Grund der Grube wurden neben zahlreichen weiteren Keramikscherben Teile eines Vorratsgefäßes der Hallstattzeit gefunden. Der obere Teil der Verfüllung bestand offensichtlich aus Erosionsmaterial. Hier fanden sich Scherben aus den Stufen Bronzezeit bis Frühlaténe. Aufgrund des Grabungsprofils muss die Grube als Kegelstumpfgrube interpretiert werden. Die Gebäudepfosten, die die Grube mit Sicherheit umgeben hatten, waren allerdings bereits vollständig aberodiert, so dass hier fälschlich der Eindruck einer befundfreien Fläche entstanden wäre. Es wurden noch zwei weitere vergleichbare Befunde auf der untersuchten Fläche bzw. im Bereich einer Sondage angetroffen. Etwas kurios mutet der Umstand an, dass diese Gruben auf etwa gleicher Höhe am Hang mit einem Abstand von 15 m bzw. 20 m lokalisiert waren. Inwieweit der sich aufdrängende Eindruck der Regelmäßigkeit zutrifft und hier ein erster Hinweis auf die Struktur der Siedlung vorliegt, werden weitere Untersuchungen zeigen müssen.
Die erfassten Pfosten, vor allem in der westlichen Grabungshälfte, ergeben eine Vielzahl von Reihungen. Auffällig ist eine sehr einheitliche Ausrichtung der Reihen der Hangneigung folgend. Je nach Fantasie und Temperament findet der Betrachter auf den ersten Blick zahlreiche mögliche Hausgrundrisse. Eine exakte Auswertung wird hier sicher einiges zutage fördern.
Im Süden der untersuchten Fläche konnte ein gesicherter Hausgrundriss bereits im derzeitigen Auswertungsstand festgestellt werden. Das Gebäude maß 8 m mal 5 m und war zweischiffig mit Firstpfosten. Einige Doppelpfosten deuten auf Reparaturen am Tragwerk hin. Eine kleine runde Grube im Gebäude enthielt neben Resten eines größeren Vorratsgefäßes auffällig viel gebrannten Lehm und Holzkohle. Obwohl keine Verziegelung am anstehenden Lehm festgestellt werden konnten, ist der Befund wohl im Zusammenhang mit der Herdstelle des Gebäudes zu sehen. Hierfür spräche auch die Lage einigermaßen mittig im Nordschiff des Hauses. Die wenigen aus den Pfosten stammenden Keramikscherben und das Vorratsgefäß lassen bei allen Schwierigkeiten im Umgang mit unverzierter Siedlungskeramik eine Datierung in die Hallstattzeit zu.
In etwa 1,8 m Abstand verlief parallel südlich des Hauses ein Gräbchen. Sowohl im Nordosten als auch im Südwesten der Grabungsfläche wurden ähnliche Reste von Einfriedungen gefunden. Die schmalen Gräbchen waren zum Teil nur noch wenige Zentimeter tief erhalten und liefen an den Enden aus. Details wie etwa Palisadenpfosten ließen sich nicht feststellen. Sie dienten wohl als Abgrenzung der Hofstelle, vielleicht als Viehgatter und hatten sicher keine fortifikatorische Funktion. Schwierig gestaltet sich die zeitliche Zuordnung der Gräbchen zumal einige Überschneidungen eine Mehrphasigkeit belegen.
Ein aus vier Pfosten bestehender quadratischer Grundriss ist als Vierpfostenspeicher zu interpretieren, und vervollständigt so das Repertoire einer hallstattzeitlichen Hofstelle.
Die bisher freigelegte Fläche stellt nur einen kleinen Teil des weitläufigen über lange Zeit genutzten Siedlungsareals dar. Die vom Standpunkt der Befunderhaltung womöglich günstigeren Partien südlich der vorgestellten Grabungsfläche, im unteren Bereich des Hanges zur Streu hin gelegen, werden im Rahmen der Erschließung noch einiges zur Erforschung der vorgeschichtlichen Lebenswelt im Grabfeld beitragen. Am Südwestrand des Baugebiets, etwa 130 südlich der Grabungsfläche, wurden bereits vor einiger Zeit durch die AARG zwei Brandgräber und eine Siedlungsgrube gefunden.
Pubiziert in: Jochen Scherbaum, Eine hallstattzeitliche Siedlung in Mellrichstadt , in Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege (Hg.), Das archäologische Jahr in Bayern 2007, Stuttgart 2008, S.49-51
Örtliche Grabungsleitung/Grabungsdokumentation: Jochen Scherbaum M.A., Archäologische Dokumentation; Dipl. Ing. Tilman Wanke BLFD
Literatur:
Hrsg Verein für Heimatgeschichte e.V. , Vorzeit Spuren in Rhön-Grabfeld, Schriftenreihe des Vereins für Heimatgeschichte im Grabfeld e.V. Heft 15, Kleineibstadt 1998