Der Ort Grafengehaig liegt auf einer Höhe von 560 müNN im Frankenwald, nordöstlich von Stadtsteinach. Das Gebiet wurde als Rodungsland erst im 12. und 13. Jahrhundert erschlossen und als Erwerbsquelle wird die Erzgewinnung eine nicht untergeordnete Rolle gespielt haben. Grafengehaig gehört ab 1318, zum Zeitpunkt der Ersterwähnung, den Rittern von Grün und geht um 1400 in den Besitz derer von Wildenstein über.
Unterhalb der kaum sichtbaren Burgruine schmiegt sich die kleine Ortschaft an den nach Westen abfallenden Hang, überragt von der mächtigen Kirchenburganlage. Diese fand in der Vergangenheit zwar eine gewisse Beachtung in der kunstgeschichtlichen und volkskundlichen Literatur, eine bauforscherische Untersuchung konnte bisher noch nicht durchgeführt werden. Den aktuellen Stand der Forschung bildet noch immer ein Beitrag von K.-L. Lippert in den Bayerischen Kunstdenkmälern von 1964. Umso willkommener war die Gelegenheit, im Rahmen der Sanierungsarbeiten im Jahr 2001/2002 zumindest einige Sondageschnitte anzulegen und so erste Einblicke in die Baugeschichte der Kirche zu erhalten. Die archäologischen Untersuchungen konnten in sehr guter Koordination mit dem beauftragten Architekturbüro und der Kirchengemeinde durchgeführt werden, wofür den Beteiligten an dieser Stelle gedankt sei.
Im Rahmen der zweigeteilten Untersuchung im Dezember 2001 und Juli 2002 wurden drei Sondageschnitte angelegt (Abb. 1). Eine weitere Sondage ergab sich durch die Bauarbeiten am Fundament der Westmauer. Hierbei konnten zwei Vorgängerbauten im Inneren der bestehenden spätgotischen Kirche nachgewiesen werden.
Die heute stehende Kirche mit ihrem imposanten Chor und dem von vier Säulen gestützten, dreischiffigen Langhaus ist im Wesentlichen in der Mitte des 15. Jahrhunderts entstanden. In dieser Zeit besaß sie noch das Patrozinium „Unserer Lieben Frau“. Im Jahr 1455 wurde sie als Filialkirche von Stadtsteinach erwähnt. 1448 wird als Datum für den Neubau von Chor Sakristei und Wehrturm genannt. In diesem Jahr sollen ebenfalls Veränderungen am Langhaus vorgenommen worden sein.
Die Grabungsergebnisse zeigen nun, dass zumindest die Nordmauer des Langhauses ebenfalls von Grund auf neu errichtet wurde (Abb. 2). In geringem Abstand fand sich südlich das Fundament einer älteren Langhausnordwand, das bis knapp unter den ersten Fußboden der jüngsten Kirche abgebrochen worden war. Da diese Mauer um etwa 8° aus der Achse gedreht war, kann von einem weitgehenden Neubau des Langhauses ausgegangen werden. Zahlreiche Keramikscherben, die jüngsten aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts, aus dem bauzeitlichen Planierungshorizont zusammen mit einigen Münzen des späten 15. Jahrhunderts aus dem ersten Fehlboden grenzen die Datierung der Bauzeit des Langhauses auf die Mitte des 15. Jahrhunderts ein. Dies bestätigt das eingangs genannte Datum, das einer inzwischen verschwundenen Jahreszahl am Südportal entstammt. Die Münzen, die zusammen mit Stecknadel zwischen den Dielenbrettern des Holzfußbodens durchgefallen waren, sind wahrscheinlich während der Kollekte dorthin gelangt. Die zahlreichen Keramikscherben aus der unter dem Fußboden liegenden Planierschicht waren dagegen zusammen mit Erdmaterial in die Kirche gelangt, das verwendet wurde, um den für den Neubau benötigten Niveauausgleich zu erzielen.
Der jüngste Vorgängerbau ist durch das erwähnte, in mehreren Steinlagen erhaltene Bruchsteinmauerwerk und zugehörige Laufniveaus belegt. Erfasst sind Teile der Nordmauer, der Westmauer und die Ostmauer bis zum eingezogenen Chor. Das zweischalige Mauerwerk hat eine Stärke von ca. 1,2 m und besteht aus unbearbeiteten Gneisbruchsteinen. Als Bindemittel findet sich Lehm, der noch leicht mit Kalk- bzw. Mörtelspatzen durchsetzt ist. Die Bauart ist durch die örtlichen Baumaterialien vorgegeben und unterscheidet sich im Fundamentbereich nicht von der des stehenden Baus.
Neben den Fundamentmauern konnten zur Kirche gehörige Bau- und Laufniveaus und einzelne dünne Estriche dokumentiert werden, aus denen sich drei Nutzungs- oder Ausbesserungsphasen belegen lassen. Das jüngste Laufniveau liegt 0,50 m tiefer als der älteste Fußboden der spätgotischen Kirche. Die Planierungsschicht der spätgotischen Kirche liegt dabei direkt auf dem jüngsten Fußboden auf. Keramikfunde aus der bauzeitlichen Planierungsschicht der früheren Kirche stammen aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, vornehmlich jedoch des frühen 14. Jahrhunderts. Der Westabschluss lag an der Stelle der heutigen Westmauer.
Das Fundament des Westabschlusses wurde für den heutigen Kirchenbau weiterverwendet, wobei unklar bleibt, welche Teile des aufgehenden Mauerwerks der heutigen Westmauer ebenfalls aus dem 14. Jahrhundert stammen. Ebenso müsste die Frage, ob der mit der Mauer verzahnte mächtige Turm ebenfalls bereits zu dieser Bauphase zu rechnen ist, durch eine bauforscherische Untersuchung geklärt werden. Die Mauerverzahnung konnte wegen des Putzes erst in den Obergeschossen festgestellt werden. Das nördliche Seitenschiff ist auffällig schiefwinklig, was durch die topografischen Gegebenheiten bedingt sein dürfte. Die Lage am doch sehr steil nach Süd-West abfallenden Hang machte neben den im Osten nötigen Abtragungen im Westen der Kirche massive, an das tief liegende Fundament ziehende Aufplanierungen nötig. Setzt man eine Symmetrie des Baukörpers zur Mittelachse voraus, kann für das Langhaus des 14. Jahrhunderts eine der heutigen Kirche entsprechende Ausdehnung angenommen werden.
Die nächst ältere Kirche erschließt sich nur noch indirekt. Erste Indizien auf einen weiteren Vorgänger lieferten die in Schnitt 1 aufgefunden Säuglingsbestattungen. Auf dem anstehenden Lehm südlich des oben beschriebenen Fundaments, also innerhalb der Kirche 2, lagen fünf Säuglingsbestattungen. Derartige Bestattungen, die Traufkinder bezeichnet werden, finden sich in der Regel außerhalb, direkt an den Traufseiten einer Kirche. Diese nicht im Befund erfasste Mauer müsste demnach südlich der Säuglingsgräber verlaufen. Hier schloss in Schnitt 1 zumindest eine massive Feldsteinpackung an, die als Mauerversturz gedeutet werden kann.
Deutliche Bandspuren an den Steinen und im umliegenden Erdmaterial lassen mit der gebotenen Vorsicht die Vermutung zu, dass diese Kirche einer Brandkatastrophe zum Opfer fiel. Scherben aus dem möglichen Bauhorizont datieren die erste Kirche ins 13. Jahrhundert, also deutlich vor die erste urkundliche Erwähnung einer Kirche im Jahr 1378. Insgesamt sind im Fundgut nur vereinzelte Scherben vor das 13. Jahrhundert zu setzen.
Die Grabung öffnete ein weniger als 12 m² großes Fenster in die Vergangenheit Grafengehaigs. Will man es wagen, hieraus eine Kirchengeschichte aus archäologischer Sicht zu erstellen und die Entwicklung des Kirchenbaus mit der der Siedlung zu verknüpfen, so lassen sich drei Eckwerte herausarbeiten: Beginn der Siedlung nicht wesentlich vor dem 13. Jahrhundert, ein erster beträchtlicher Aufschwung im frühen 14. Jahrhundert und eine weitere Aufschwungphase in der Mitte des 15. Jahrhunderts.
Publiziert in, Andreas Pross/Jochen Scherbaum Ausgrabungen in der Pfarrkirche zum Heiligen Geist in Grafengehaig im Frankenwald, in Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege (Hg.), Das archäologische Jahr in Bayern 2002, Stuttgart 2003, S.125-127
Literatur:
K.-L. Lippert, Landkreis Stadtsteinach. In: Bayerische Kunstdenkmale Bd. XX (München 1964) 22 ff.