Ein Wohnspeicherhaus des 11. Jahrhunderts in Regensburg
Durch die Neubebauung des Anwesens Scheugässchen 1 wurden archäologische Untersuchungen im ehemals dicht bebauten Areal zwischen Keplerstraße und Haidplatz möglich. Da bei Bauarbeiten in den 60er Jahren bereits im nahe gelegenen Haus Baumhackergasse 7 eine Tiefgarage ohne archäologische Untersuchungen errichtet worden war[1], war das Interesse an einer der letzten ungestörten Freiflächen im ehemaligen Kaufmannsviertel der Stadt umso größer.
Das Scheugässchen liegt westlich der römischen Lagermauern, wo sich die Lagervorstadt erstreckte; über deren Ruinen ließen sich im frühen Mittelalter allmählich Kaufleute, Handwerker und Adelsfamilien nieder. Auf Druck der Kaufleute wurde dieser „pagus mercatorum“ durch Herzog Arnulf 920 mit einer Befestigung gesichert, welche auch das bis dahin vor den Toren der Stadt gelegene Kloster St. Emmeram in die „urbs nova“ einbezog. Während man hier zunächst von einer Bebauung mit einfachen Holzbauten ausgehen muss, entstanden allmählich feste Parzellen mit ersten steinernen Wohntürmen des Adels bzw. Steinwerken der Kaufleute.[2] Wann und wie dieser Umstrukturierungsprozess der Bebauung vonstatten ging, ist aber meist ungeklärt; jede archäologische und bauhistorische Untersuchung kann hier den Kenntnisstand erweitern.
Die seit den rigorosen Abbruchmaßnahmen in den Straßenzügen Baumhackergasse, Im Drießl und Scheugässchen in den 60er Jahren entstandene Freifläche wurde lange Zeit als Parkplatz genutzt und eröffnete freien Blick auf die Rückansicht der Bebauung der Keplerstraße mit ihren repräsentativen mittelalterlichen Geschlechtertürmen und Handelshäusern; doch entspricht dieser Zustand in keiner Weise den historischen Gegebenheiten (Abb. 1).[3] Bereits nach Entfernen der Teerdecke lagen die Mauerkronen der ehemaligen Bebauung frei und konnten im Januar 2000 durch das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege dokumentiert werden. Aus Gründen des Denkmalschutzes verzichtete der Bauherr auf eine flächige Unterkellerung des Neubaus. So waren die Bodeneingriffe auf den Bereich der notwendigen PKW-Stellplätze in einer kleinen Doppelparkanlage beschränkt. Um eine zügige Dokumentation der Befunde zu gewährleisten, wurde das Bamberger Grabungsbüro Archäologische Dokumentation mit den Ausgrabungsarbeiten beauftragt. Die Kosten hierfür trug der Bauherr dem an dieser Stelle für sein Entgegenkommen gedankt sei.
Die archäologische Untersuchung war von Beginn an viel versprechend. Die direkt unter der modernen Schotterdecke liegenden Schichten erschienen großteils ungestört und datierten bereits vor das 15. Jahrhundert. Das Bild des Schichtaufbaus nach Grabungsabschluss entsprach in den Grundzügen der für Regensburg typischen und durch eine Reihe von Grabungen und Baubeobachtung belegten Stratigrafie.
Direkt unter dem ersten Bodenniveau des romanischen Kellers verlief in Ost-Westrichtung eine römische Mauer, eingebettet in eine Steinschuttpackung (Abb. 5, Abb. 6, Befund 1, Befund 2). Dieses Niveau wurde nur in einem kleinen Ausschnitt erreicht, da es unterhalb der zu erwartenden Aushubtiefe lag. Die Mauer stammt wohl von einem Gebäude der römischen Zivilbebauung, der „canabae legionis“. Scherben von Fensterglas, terra sigilata und von Trinkgläsern selbst in dem winzigen Grabungsausschnitt[4], sprechen für eine gehobenere Ausstattung des Gebäudes.
Über der römischen Schuttschicht wuchs im frühen und einsetzenden hohen Mittelalter eine 2 m mächtige Kulturschicht mit zahlreichen Knochenabfällen an (Abb. 5, Abb. 6, Befund 3). Das starke Anwachsen der Kulturschicht erklärt sich aus der ehemaligen Bebauung in Leichtbauweise. Die anzunehmenden Holzgebäude mit Stampflehmfußböden waren wenig witterungsbeständig und stark Feuer gefährdet, so dass man mit mehrmaligem Neubau an gleicher Stelle rechnen muss. Die nicht verwertbaren Reste vorheriger Bebauung, wie auch Abfälle wurden einfach einplaniert. Zahlreiche trichterförmige Abfallgruben durchziehen diese Kulturschicht und belegen die intensive Nutzung des Areals. Unter den Funden aus diesen Planierschichten war eine Vielzahl von Keramikbruchstücken. Die Mehrzahl davon besteht aus der im Regensburger Fundgut dominierenden Goldglimmerkeramik (Abb. 7: 2-6). Die handgefertigten Töpfe sind meist nur im Randbereich nachgedreht und mäßig hart in schwankender Brennatmosphäre gebrannt.[5] Deutlich sorgfältiger hergestellt, wenngleich ebenfalls handgemacht, ist das Bruchstück eines wellenbandverzierten Topfes aus rauhwandig-sandiger Ware (Abb. 7: 1). Diese Warenart ist bislang mehrfach in Regensburg nachgewiesen; sie ist nach bisherigem Kenntnisstand auf Fundkomplexe vor 1000 beschränkt[6], ein zeitlicher Ansatz, dem die vergesellschafteten Bruchstücke der Goldglimmerkeramik mit ihren scharf ausbiegenden Rändern ohne Halspartie nicht widersprechen. Völlig aus dem Rahmen fallen im Fundgut der Planierschichten zwei Scherben westlicher Herkunft. Es handelt sich eindeutig um Stücke der älteren gelbtonigen Drehscheibenware.[7] Dabei scheint die Befundlage im Scheugässchen anzudeuten, dass es sich hier um Gefäße handelt, die bereits kurz nach ihrer Ankunft in Regensburg Anfang des 11. Jahrhunderts in den Boden gelangten.
Einige große Schlackebrocken, sog. „Ofensäue“, deuten auf Eisenverhüttung mittels Rennöfen in der unmittelbaren Umgebung hin. Hier könnte oberpfälzer Eisenerz, das über die Donau antransportiert wurde, verarbeitet worden sein. Damit ist ein Hinweis auf eine der vielen in der hochmittelalterlichen Stadt anzunehmenden handwerklichen Produktionsanlagen gegeben, deren Lokalisierung bislang schwierig ist[8].
Als Sensation kann die Entdeckung einer in großen Teilen intakten Kelleranlage des 11. Jahrhunderts gelten. Ein Feuer hatte das Gebäude um 1200 zerstört und den Keller unter einer Schuttschicht konserviert (Abb. 2).
Der zumindest zweiräumige Keller war in die hochmittelalterliche Auffüllung eingetieft und bildete die Basis eines sicher beeindruckenden Steingebäudes. Der Bau maß in der Breite 11 m und in der Länge etwa 17 m. Ein im Anschluss an die Grabung bei Kanalarbeiten angeschnittener Mauerrest stellt u. U. die nördliche Begrenzung dar. Das Gebäude erstreckte sich über die gesamte Breite der heutigen Parzelle (Abb. 5, Befund 4, Befund 5). Die östliche Außenmauer besaß eine Stärke von ca. 1,1 m. Die Fundamentunterkante lag bei 335 müNN, Sie war aus länglichen, grob zugerichteten Buntsandsteinen mit einer Seitenlänge von bis zu 60 cm lagig gesetzt und mit Kalkmörtel gebunden. Die Mauerfugen auf der Innenseite sind z.T. verstrichen. Die Struktur der Maueraußenseite zeigt, dass die Mauer direkt an die Wand der Baugrube gesetzt wurde. Die Geländeoberfläche zur Erbauungszeit lag am Südrand des Gebäudes zumindest bei 337, 20 müNN, d.h. nur geringfügig unter dem heutigen Niveau.
Der vollständig ergrabene südliche Kellerraum wird durch eine mit der Außenmauer verzahnte Mauer (Abb. 3, Abb. 5, Abb. 6, Befund 4, Befund 5)mit etwa 0,7 m Mauerstärke begrenzt und besitzt eine lichte Breite von knapp 9 m und eine Länge von fast 6 m. Er ist durch eine 1,7 m breite Tür mit dem nördlich anschließenden Raum verbunden (Abb. 4, Abb. 5, Befund 7). Dieser Raum liegt außerhalb der Maßnahme und konnte nicht untersucht werden. Holzabdrücke im Mörtel an den Türlaibungen und eine verkohlte Schwelle belegen den hölzernen Türrahmen. Die Schwellenhöhe liegt bei 336, 20 müNN.
Der untersuchte Raum lässt sich in zwei Bauphasen unterteilen. Über Nutzung und Ausstattung von Phase 1 kann aus der Befundlage heraus kaum eine Aussage gemacht werden. Der Fußboden (ca. 335,50 müNN) saß auf einer Rollierung aus Sandsteinabschlägen sicher Bauabfälle (Abb. 6, Befund 9). Der in die Trennmauer eingebundene und zum Grundbestand zu rechnende Zugang lag also, bezogen auf dieses Laufniveau, auffällig hoch. Ebenfalls zur Grundausstattung zu rechnen ist eine in der Ostwand unsymmetrisch eingelassene, halbrunde Lichtnische (Abb. 3, Abb. 5, Befund 8). Diese reicht 0,5 m in die Mauerstärke, besitzt eine maximale Höhe von 0,5 m und ist mit sauber gearbeiteten kleineren Steinen halbrund überwölbt. Der Ansatz der Wölbung ist leicht gestelzt und es zeigen sich in der Wölbung Abdrücke der Schalbretter im Mörtel.
Das ursprüngliche Niveau des Kellerbodens wird bereits im frühen 11. Jahrhundert um etwa 0,5 m erhöht (Abb. 6, Befund 10). Eine in der Auffüllung zwischen Bauphase 1 und 2 eingetiefte und nur locker verfüllte Latrine in der Südost-Ecke des Raums gibt noch Rätsel auf (Abb. 5, Befund 11).
Das Auffüllungsmaterial barg viele Keramikscherben der für das hohe Mittelalter in Regensburg typischen sogenannten Goldglimmerware, die meisten Scherben sind recht großteilig zerbrochen und damit kaum umgelagert.
In dieser zweiten Ausbauphase erhält der Keller eine steinerne Säule mit runder Basis und wahrscheinlich würfelförmigem Kapitel (Abb. 3, Abb 5, Abb. 6, Befund 12). Die Säule sitzt auf einem massiv in der Auffüllschicht fundamentiertem Sockel. Auffällig ist die unsymmetrische Lage im Raum, mittig zur Ostwand jedoch in nur 2 m Abstand dazu. Weitere Säulen waren mit Sicherheit nicht vorhanden. Das Fehlen von Gewölbeteilen in der Versturzschicht sprechen für eine Flachdecke. Dieser Befund wird durch einige Balkenreste über dem Dielenboden bestätigt. Die Decke war offensichtlich so tragfähig, dass sie nur an einer Stelle gestützt werden musste.
Sehr gut erhalten hat sich der Dielenboden dieser Bauphase (Abb. 3, Abb. 5, Abb. 6, Befund 13). Die durch den Brand verkohlten Bretter und Balken lagen vor allem im Ostteil des Kellers, zu großen Teilen in situ. Die Laufhöhe betrug nun ca. 336 müNN. Auf dem Fußboden und im darüber liegenden Schutt (Abb. 2, Abb. 6, Befund 14) fanden sich eindeutige Hinweise auf die Nutzung des darüber liegenden Stockwerks. Das verheerende Feuer hatte eine große Menge von Getreidekörnern verkohlt und so konserviert. Das Haus diente demnach auch als Getreidespeicher. Die Heftigkeit des Feuers, die sich an der starken Verfärbung der Innenmauern und vor allem der auf dem Boden liegenden Säulenfragmente ablesen lässt, legt die Vermutung nahe, dass sich weitere leicht brennbare Materialien in dem Gebäude befunden haben müssen.
Die Goldglimmerkeramik aus der Versturzschicht ist im Vergleich zu den Funden der Planierschichten sorgfältiger nachgedreht, überwiegend hell orange, also oxidierend gebrannt und besitzt teils schon eine Halszone (Abb. 7: 7, 9); somit zeigen sich hier jüngere Elemente der Keramikentwicklung, die in das beginnende 12. Jahrhundert weisen. Dies wird durch den Spinnwirtel (Abb. 7: 8) gestützt, der bereits aus weißlich brennendem Ton gefertigt ist, während ein Webgewicht noch aus goldglimmerhaltigem Ton besteht. Um 1200 löst in Regensburg hellbeige bis weiß brennender Ton in der Geschirrkeramik den Goldglimmerton ab.[9]
Der Raum wird durch einstürzende Mauern mit einer knapp 1m mächtigen Schicht aus Steinen und Mörtel verfüllt. Die Art des Wiederaufbaus nach der Brandkatastrophe weist deutlich auf den wirtschaftlichen Niedergang des Kaufmanns hin. Der Keller wird nicht mehr ausgeräumt, der Steinschutt nur planiert und die, den neuen Bebauungsplänen im Weg stehende Zwischenwand wird abgebrochen (Abb. 2, Abb. 6, Befund 6, Befund 14-17). Der Bodenbelag besteht nun aus einem einfachen Stampflehmboden. Die Ostwand wird wohl weiterverwendet. Die Südwand wird nun um ca. 5m nach Norden versetzt. Sie besteht aus einem einfachen schief gemauerter Sockel, der eine Fachwerkwand getragen hat. In der Ecke finden sich die Reste eines kleinen Lehmofens. Die Fußbodenhöhe beträgt ca. 336,80 müNN. Der südliche Teil des ehemaligen Gebäudes ist nun nicht mehr überbaut. In der Folge kommt es zu einer Reihe von Umbauten, Bränden und Planierungen, die sich in einer dicht gebänderten Schichtabfolge niederschlagen. Im Nordteil der Parzelle wird nach dieser eher provisorischen Bebauung noch im hohen Mittelalter ein kleineres, nicht unterkellertes Steingebäude errichtet (Abb. 5, Befund 18). Es sitzt auf der Verfüllung des nördlichen Kellers, in die in der Zwischenzeit eine Reihe von trichterförmigen Abfallgruben eingetieft worden war und schneidet eine Reihe von Laufbändern. Das Laufniveau zu diesem Gebäude lag bei 337, 25 müNN. Es nimmt nun nicht mehr die ganze Breite der heutigen Parzelle ein und lässt Platz zum Nachbargebäude hin für eine Durchfahrt.
Das mächtige Fundament der Ostmauer wird immer wieder in die Bebauung einbezogen, zuletzt in das barockzeitliche Haus, das bis in die 1960er Jahre auf dem Grundstück stand.
Die archäologischen Untersuchungen im Scheugässchen konnten trotz der beschränkten Fläche die mittelalterliche Baugeschichte des Anwesens beleuchten und zeigen, welche Informationen im Boden verborgen sind und wie vielgestaltig die Bebauung und Nutzung der Kaufmannssiedlung war.
Jochen Scherbaum / Eleonore Wintergerst
[1] A. Borgmeyer/A. Hubel/A. Tillmann/A. Wellnhofer, Stadt Regensburg. Denkmäler in Bayern Bd. III.37 (Regensburg 1997) 114.
[2] S. Codreanu-Windauer/M. Hoernes/A. Rettner/K. Schnieringer/E. Wintergerst, Die städtebauliche Entwicklung Regensburgs von der Spätantike bis ins Hochmittelalter. In: P. Schmid (Hrsg.), Geschichte der Stadt Regensburg (Regensburg 2000) 1013-1053, bes. 1024ff. – A. Borgmeyer/A. Wellnhofer, Stadttopographie und Stadtgeschichte Regensburgs. In: A. Borgmeyer u.a. (Anm. 1) XLII ff. – K. Schnieringer, Das mittelalterliche Bürgerhaus in Regensburg. In: Ebd. LXXXVIII ff.
[3] R. Strobel, Baualtersplan zur Stadtsanierung. Regensburg I. Sanierungsgebiet I = Lit. D Donauwacht (München 1982) 27ff., 62, 89f. – A. Borgmeyer u.a. (Anm. 1) 522.
[4] Die römischen Schichten lagen unter der geplanten Aushubtiefe. Es wurde deshalb nur ein etwa 1m x 2m großer Sondageschnitt geöffnet.
[5] G. Pletzer, Die mittelalterliche Keramik von Regensburg. Documenta naturae 58 (München 1990) 17ff. – M. Wintergerst, Die Ausgrabung „Lederergasse 1“ in Regensburg (1982). Eine formenkundliche Studie zur Keramik des 10.-13. Jahrhunderts in Bayern. Materialhefte zur Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit, Bd. 4 (Rahden/Westf. 1999) 36ff.
[6] E. Wintergerst, Die Ausgrabungen im ehemaligen Kreuzgang des Niedermünsters in Regensburg (Im Druck). – Dies., Das Niedermünster in Regensburg. Die Entwicklung zum Damenstift im frühen und hohen Mittelalter. In: Denkmalpflege in Regensburg, Bd. 4 (Regensburg 1994) 62ff. bes. Abb. 9.
[7] Nach Bestimmung durch Dr. Uwe Gross. Vgl. Beitrag U. Gross in diesem Band m. Abb. 1,4-5.
[8] M. Wintergerst, Produktionsanlagen mittelalterlicher Handwerker in Regensburg. In: M. Angerer/H. Wanderwitz (Hrsg.), Regensburg im Mittelalter (Regensburg2 1998) 259ff.
[9] M. Wintergerst, Hochmittelalterliche Keramik in Regensburg (10.-13. Jahrhundert). In: M. Angerer/H. Wanderwitz (Hrsg.), Regensburg im Mittelalter (Regensburg2 1998) 267ff.